Wiener Währinger Jüdischer Friedhof 1938 - 1945

25062008042

Der Währinger Friedhof um 1932. Quelle: Juedisches Museum der Stadt Wien

"Der Währinger Jüdische Friedhof – Ein Ort der Erinnerung?"

Seminararbeit an der
Universität Wien, Institut für Zeitgeschichte
eingereicht bei:
Prof. Dr. Frank Stern


Thema:
Der Währinger Jüdische Friedhof in der Zeit von 1938–1945

Wien, 2008

"Museum unter freiem Himmel."
Tina Walzer




1 Geschichte des Währinger Jüdischen Friedhofes
Auf dem gesamten Areal des Währinger Parks befindet sich ursprünglich der Ortsfriedhof von Währing. Der Bereich für den jüdischen Friedhof in Währing wird 1784 von der jüdischen Gemeinde in Wien angekauft und beinhaltet auch das Gebiet, wo heute der "Schnitzlerhof" steht. Nach Schließung aller innerhalb der Linien gelegenen Friedhöfe unter Josef II. müssen auch die Juden einen Friedhof außerhalb der Linien errichten. Zu diesem Zwecke kauft die jüdische Kultusgemeinde 1784 ein Grundstück neben dem katholischen Währinger Friedhof. Der am Beginn der heutigen Döblinger Hauptstraße gelegene Friedhof wird noch im selben Jahr eröffnet und 1835 bzw. 1857 erweitert. Obwohl am 4.3.1879 die Sperre beschlossen wird (ab 5.3.1879 erfolgen die Bestattungen auf der am 19.10.1877 übergebenen Abteilung auf dem Zentralfriedhof), durften Grüfte noch bis 1884 belegt werden. Rund 30.000 jüdische Menschen, so Tina Walzer, sind auf dem Währinger Friedhof bestattet. Der christliche Teil des Friedhofes wird auf den Wiener Zentralfriedhof verlegt und in einen Park umgewandelt. Der jüdische Friedhof kann allerdings nicht verlegt werden. Martha Keil, stellvertretende Direktorin des Institutes für Geschichte der Juden in Österreich: "Nach jüdischem Religionsgesetz kann jedoch eine Umwidmung nicht so einfach erfolgen: Der Grabstein ist ewiges Eigentum des Toten, seine Entfernung verletzt den Totenfrieden und jüdisches Recht." Auf dem Friedhof der jüdischen Gemeinde liegen alle soziale Gruppen nebeneinander begraben: Gründer der Wiener Kultusgemeinde, Industrielle, Intellektuelle, Künstler wie Handwerker und einfache Arbeiter. Am 26. November 1891 beschließt der der Wiener Gemeinderat die Auflassung des Friedhofs, kann sich aber mit der IKG nicht einigen. Der Stadtrat entscheidet deshalb am 30. Mai 1893, von weiteren Schritten Abstand zu nehmen. Auch die Israelitische Kultusgemeinde (IGK) überlegt 1903 eine Umgestaltung in einen öffentlichen Park. Wege werden angelegt, Bäume gepflanzt. Eine Umbettung der Toten oder die Verlegung von Grabsteinen erfolgt allerdings nicht. Der Friedhof bleibt in seiner Form bis in die 40er Jahre unverändert.

1923 leben 201.513 Juden und Jüdinnen in Wien. Damit ist Wien die drittgrößte jüdische Gemeinde in Europa.

1.1 Der Friedhof in den 1930er Jahren
Eine Reportage der Wiener "Reichspost" vom 2. Jänner 1931 dokumentiert den Zustand des Währinger Friedhofes in den frühern 1930er Jahre. Unter dem Titel: "Der Währinger israelitische Friedhof" erscheint der unter "M.A." gezeichnete Artikel. Auszüge:
"Durch eine recht geheimnisvoll anmutende, inzwischen aber rasch aufgeklärte Angelegenheit, den Fund von abgetrennten menschlichen Zehen im Währinger israelitischen Friedhof, ist die allgemeine Aufmerksamkeit auf diese heute schon fast unbekannte, aber doch höchst merkwürdige Begräbnisstätte gelenkt worden, deren Entstehung in das 18. Jahrhundert zurückreicht.
[…]
Ein Besuch dieser alten Begräbnisstätte lohnt sich. Tiefe Stille umfängt den Eintretenden, nicht einmal der Straßenlärm scheint die hohen Mauern zu überklettern. Allerlei gefiedertes Volk flattert erschreckt und förmlich ungehalten, in seiner Idylle gestört zu werden, auf. Alte mächtige Bäume, echte Friedhofgewächse wie Trauerweiden, Zypressen, Zedern, Buchs, aber auch Kastanien und sogar Nussbäume behüten den Gartenfrieden. Es ist schier unheimlich, als einziger Lebender unter so vielen Toten zu weilen.
Der Friedhof ist in schönster Ordnung gehalten. Manch ein Grab ist noch wohl gepflegt und mit Blumen bepflanzt. Die meisten Gräber allerdings – mehr als ein halbes Jahrhundert ist seit der Auflassung des Friedhofes verflossen – sind schon vergessen. Viele Inschriften der Grabsteine, teils deutsch, teils hebräisch, zum Teil auch in beiden Lettern gehalten, sind bereits verwittert und unleserlich. Die Grabsteine selbst sind zumeist denen der katholischen Friedhöfe ähnlich; abgebrochene Säulen sind als Symbole geknickter Lebenshoffnung besonders zahlreich.
[…]"
Sieben Jahre später, nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich, 1938, endet die Beschaulichkeit und Idylle auf dem Währinger jüdischen Friedhof.

1936 leben 176.034 Juden und Jüdinnen in Wien.

2 Jüdische Friedhöfe im NS-Staat
Das NS-Regime regelt und reglementiert das Leben der jüdischen BewohnerInnen in allen Lebenslagen. Diskriminierung, Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung wird zentral aus Berlin gesteuert. Die Ruhestätten der Juden und Jüdinnen werden hingegen bis zum Ende des Krieges den Kommunen und Gemeinden überlassen. Der deutsche Historiker Andreas Wirsching: "Offenkundig aber besaß die Frage der jüdischen Friedhöfe für die Reichsregierung und die Parteiführung keine obere Priorität." Diesem Umstand ist zu verdanken, dass nicht alle jüdischen Friedhöfe während der NS-Ära endgültig vernichtet werden. Zahlreiche Gemeinden und Städte haben ein vitales Interesse an den Friedhöfen, liegen sie meist in wertvollem Bebauungsgebiet und wären ideal für die Bebauung. In Deutschland kann erst ab 1938 die Enteignung und Umwidmung jüdischen Eigentums in Angriff genommen werden. Mit der "Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens" vom 3. Dezember 1938 wird der Zwangsverkauf jüdischen Vermögens ermöglicht. Im Paragraph 6 der Verordnung heißt es unmissverständlich:
"Einem Juden […] kann aufgegeben werden, […] sein sonstiges Grundeigentum oder andere Vermögensteile ganz oder teilweise binnen einer Frist zu veräußern…"
Ab 1942 wird diese Verordnung systematisch für die "Arisierung" der jüdischen Friedhöfe im Deutschen Reich angewendet. Die Gemeinden erhalten damit eine Handhabe in den Besitz der jüdischen Ruhestätten zu gelangen.

3 Der Währinger Friedhof im NS-Staat
Ab 1938 wird der jüdische Friedhof in Währing von den Nationalsozialisten als "Baustofflager" missbraucht. Grabsteine werden als Baumaterial verwendet. Auf dem Friedhof wird ein Materiallager errichtet. Im November 1938 kommt es im Zuge der Novemberpogrome auch zu Verwüstungen und Vandalenakte auf dem Währinger Friedhof. Der Schaden wird 1953 von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien mit 35.000 Schilling beziffert. Mitte August 1941, Monate vor dem Abschluss des Kaufvertrags im Februar 1942, beginnen Baggerarbeiten für die Errichtung eines Luftschutzraumes. Die deutsche Heeresverwaltung plant die Errichtung einer Bunkeranlage. Dieser Plan kann offenbar im Zuge des Krieges nicht mehr umgesetzt werden. Im Jänner 1942 berichtet Stadtkämmerer Dr. Walter Hanke den Wiener Ratsherren, dass auf dem Areal des Währinger Friedhofes "bereits mit der Erbauung eines Luftschutzbunkers begonnen wurde, der nach dem Kriege als Garage verwendet werden kann." Schließlich wird Wasser in das vorhandene Loch gefüllt und der Löschteich angelegt. Der Plan auf jüdischen Friedhöfen Luftschutzbunker zu errichten ist kein Einzelfall: Auch in Hamburg/Altona wird zur selben Zeit in den Jahren 1941/42 auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof Ottensen ein Hochbunker der Nationalsozialisten errichtet.

Am 31. Juli 1941 leben 43.811 Juden und Jüdinnen in Wien.

3.1 Zerstörung für Luftschutzbunker bzw. Löschteich
Rund 2000 Gräber des Währinger Friedhofes fallen zwischen 14. Juli und 19. August 1941 den Bauarbeiten für den Luftschutzbunker bzw. Löschteich zum Opfer. Eine Fläche von 2.500 m2 mit drei Metern Tiefe wird mit Baggern ausgehoben. Das Erdreich wird, so Tina Walzer, als Straßenbaumaterial oder zur Befüllung von Bombentrichtern unter anderem auch auf dem Areal des jetzigen Westbahnhofes verwendet. Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde unter Dr. Ernst Feldsberg bitten die Gestapo um Erlaubnis, die Knochen bei den Bauarbeiten einzusammeln und wiederbestatten zu dürfen. Zeitzeuge Ernst Feldsberg (damals Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde) erinnert sich:
"Es war für mich, der ich damals Leiter der Friedhöfe war, eine selbstverständliche jüdische Pflicht, ohne Rücksicht auf meine persönliche Sicherheit mich zur Gestapo auf den Morzinplatz zu begeben, mit der Bitte, zuzustimmen, dass die gleichzeitig mit dem Erdreich ausgehobenen Gebeine unter den Fangarmen eingesammelt werden. Vier Personen […] haben durch zwei Wochen täglich unter Lebensgefahr unter den Baggern die Knochen gesammelt und in bereitgestellte große Kisten gelegt. Die sterblichen Überreste dieser 2.000 Toten wurden in einem Sammelgrab auf dem Zentralfriedhof, IV. Tor, Gruppe 22, bestattet…"

Dadurch gelingt es der Kultusgemeinde, einige bedeutende Persönlichkeiten vom Währinger Friedhof auf den Zentralfriedhof umzubetten.

3.2 Enteignung durch die Stadt Wien
Am 8. Jänner 1942 beschließen die Ratsherren der Stadt Wien die Auflösung aller jüdischen Friedhöfe. Den Vorsitz dabei führt Philipp Wilhelm Jung. Der Währinger Friedhof wird, so Martha Keil, durch Intervention des Beamten Robert Kraus vom Wiener Kulturamt in eine Grünanlage und ein angebliches Vogelschutzgebiet umgewidmet. Das stenographische Protokoll der Ratsherren vom 8. Jänner 1942 gibt Einblick, wie die Stadt Wien mit vorhanden jüdischen Friedhöfen umgeht. Berichterstatter Stadtkämmerer Dr. Franz Hanke, er ist SA-Brigadeführer:
"Zur Regelung der Frage der jüdischen Friedhöfe in Wien ist mit der Israelitischen Kultusgemeinde mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde für das Vermögen der Kultusgemeinde die folgende Vereinbarung getroffen worden:
Da die Angelegenheit auch einen politischen Einschlag hat, wurde Sie dem Stellvertretenden Gauleiter vorgelegt, dessen Abänderungsvorschlag in der Vereinbarung berücksichtigt worden ist.
1.) Der alte Währinger israelitische Friedhof zwischen der Döblinger Hauptstraße und dem Währinger Park liegt mitten im verbauten Gebiet, sein weiterer Bestand kann nicht länger geduldet werden. Der Kreis IX der NSDAP hat die Beseitigung dieses jüdischen Friedhofes verlangt.
Die Israelitische Kultusgemeinde verlangte für diese Grundstücke einen Kaufpreis von 334.000 RM, während das städtische Schätzamt den Grund als im Parkschutzgebiet liegend mit 4 RM pro qm2, somit mit 96.220 RM bewertet.
Nach mehrfachen Verhandlungen stimmte die Kultusgemeinde diesem Schätzpreis zu.
Auf diesem Friedhof befinden sich ungefähr 8000 Grabsteine. Die Kultusgemeinde schätzte den Wert der Grabsteine auf 450.000 RM …[… Kopie unleserlich]
Da nach Ansicht der Gemeindeverwaltung die Grabsteine aber nicht Eigentum der Kultusgemeinde sondern der Grabstellenbesitzer sind, wurde schließlich vereinbart, daß im Wege einer Kundmachung den Angehörigen der auf dem Friedhof Bestatteten die Möglichkeit geboten wird, innerhalb einer Frist von 3 Monaten auf ihre Kosten die Exhumierung der Leichen und die Abtragung und Wegschaffung der Grabsteine durchzuführen, wobei die innerhalb dieser Frist nicht weggeschafften Grabsteine der Stadt Wien verbleiben. Da dieser Friedhof seit ungefähr 60 Jahren nicht mehr belegt wurde, ist anzunehmen, daß von der angegebenen Möglichkeit nur sehr wenig Gebrauch gemacht und die größere Zahl der Steine der Stadt Wien verblieben wird. Die Kultusgemeinde verlangte eine Frist von mindestens einem halben Jahr, es konnte jedoch nur die dreimonatige Frist zugestanden werden.
Diese Grundfläche liegt im Parkschutzgebiet und soll zu einer Grünanlage ausgestattet werden. Bemerkt wird, daß auf diesem Grund bereits mit der Erbauung eines Luftschutzbunkers begonnen wurde, der nach dem Kriege als Garage verwendet werden kann."
Die dreimonatige Frist ist eine zynische Forderung der NS-Funktionäre. Sie wissen genau, dass innerhalb dieser Frist die Abtragung der Grabsteine unmöglich ist. Zu dieser Zeit sind bereits alle Juden und Jüdinnen vertrieben oder in Konzentrationslagern interniert.

Nach der großen Deportationswelle nach Theresienstadt zwischen Juni und Oktober 1942 leben nur mehr rund 8.600 Juden und Jüdinnen in Wien.

Auch die jüdischen Friedhöfe in Mödling, Klosterneuburg, Floridsdorf, Großenzersdorf und Schwechat (Zentralfriedhof 4. Tor) werden von der Stadt Wien zu ihren Bedingungen "gekauft". Der Vertrag aus dem Jahre 1891 zwischen der Stadt Wien und der israelitischen Kultusabteilung beim Ersten Tor des Zentralfriedhofes wird aufgelöst. Dieser Friedhof soll, so die Ratsherren, noch bis Ende 1942 für "Beilegungen in bereits bestehende Gräber" belassen werden. Am 25. Februar 1942 wird der Währinger Friedhof offiziell "arisiert". Helga Embacher:
"Mit dem der IKG aufgezwungenen Kaufvertrag vom 25.2.1942 erwarb die Stadt Wien um 319.544 RM den jüdischen Friedhof mit den Friedhofsgründen ('Liebfrauengründe') in Kaiser Ebersdorf (Zentralfriedhof 4. Tor) sowie die Friedhöfe in Währing, Alt-Leopoldau (Floridsdorfer Friedhof […])und Groß-Enzersdorf…"
Für den Währinger Friedhof werden 96.220 RM verrechnet. Der Kaufvertrag wird zwischen der Stadt Wien (Käufer) und der IKW [Israelitischer Kultusgemeinde Wien, Anm. RL] "Zentralstelle für jüdische Auswanderer" (Verkäufer) abgeschlossen. Die "Zentralstelle für jüdische Auswanderer" fungiert als Aufsichtsbehörde für das Vermögen der Israelitischen Kultusgemeinde. SS-Obersturmführer Adolf Eichmann ist mit der Aufsicht der IKW beauftragt. Er ist seit Dezember 1939 "Sonderbevollmächtigter für das Vermögen der Israelitischen Kultusgemeinde Ostmark". Am 31. Oktober, nach Beendigung der Deportationen, wird der IKW die staatliche Anerkennung entzogen. Vom Vermögen (rund 7 Millionen RM) verbleiben nur mehr rund 300.000 RM. "Der Rest", so Helga Embacher, "floss in den so genannten 'Auswandererfonds für Böhmen und Mähren' um das KZ Theresienstadt zu erhalten".

Im Dezember 1944 leben 5.799 Juden und Jüdinnen in Wien.

3.3 Schändung des Friedhofes für "NS-Rassenkunde"
3.3.1 Dr. Viktor Christian, Universität Wien

Bereits im Frühjahr 1939 gibt es in Wien nationalsozialistische Exhumierungspläne zum "Zweck antrophologischer Forschungen." Unter der Leitung von Dr. Viktor Christian, Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Wien und Leiter der "Lehr und Forschungsstätte für den Vorderen Orient", eine Institution von Heinrich Himmlers "Ahnenerbe", werden Bestattete aus dem Friedhof ausgegraben. Dr. Viktor Christian ist nach Ansicht Tina Walzers, jener, der "die Weichen für die Exhumierungsaktionen des Naturhistorischen Museums auf dem jüdischen Friedhof in Währing stellte." Die "Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte 'Deutsche Ahnenerbe'" wird 1935 von Reichsführer SS, Heinrich Himmler, gegründet und widmet sich vor allem der Rassenideologie. Der Verein beschäftigt sich unter anderem mit medizinischen Forschungen, wobei auch grausame, meist tödlich verlaufende Experimente an KZ-Häftlingen durchgeführt werden.

Am 31. Mai 1942 muss die Israelitische Kultusgemeinde eine Kartei aller 8.694 bestatteten Personen anlegen. Um die geplante Totenschändung durch die Nationalsozialisten zu verhindern, werden bereits im Sommer 1941 einzelne Gräber von der Israelitischen Kultusgemeinde in den Zentralfriedhof verlegt. Martha Keil:
"…Jedenfalls exhumierte ab Juni 1941 eine Gruppe von IKG-Angestellten [IKG = Israelitische Kultusgemeinde, Anm. R.L.] unter dem Leiter des Friedhofamtes Dr. Ernst Feldsberg, in mehreren Etappen die Angehörigen von dreizehn prominenten Familien, darunter Nathan Arnstein, Michael Lazar Biedermann, Isak Löw Hofmann von Hofmannsthal und andere. Die Gebeine wurden in Einzelgräber am neueren jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs, Viertes Tor, umgebettet. […]
Diese ersten Exhumierungen zum Schutz vor Schändung verdienter IKG-Mitglieder endeten mit Jänner 1942, vermutlich weil die Gemeinde Wien den Friedhof am 25. Februar 1942 offiziell 'arisierte' und damit weitere Bergungen nicht mehr durchführbar waren."

3.3.2 Dr. Josef Wastl, Naturhistorisches Museum Wien

Dr. Josef Wastl ist seit 1935 wissenschaftlich Mitarbeiter der Anthropologischen und der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien. 1938 wird Wastl dessen Leiter, von 1941 bis 1945 ist er Direktor der Abteilung. Wastl ist seit 1932 Mitglied der NSDAP. Bereits 1934 gründet er eine illegale "Betriebszelle" der NSDAP im Naturhistorischen Museum. Wastl spielt eine zentrale Rolle in der NS-"Rassenforschung" in Wien. Er bestellt bereits 1939 als Leiter der Abteilung eine "anthropologische Kommission", die "Rassenkundliche" Untersuchungen durchführt. Maria Teschler-Nicola und Margit Berner:
"Zwischen 1939 und 1943 wurden von der Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums anthropologische Untersuchungen in Internierungslagern und in mehreren Gemeinden in Niederösterreich, Oberösterreich und im 'Protektorat' durchgeführt. Begonnen wurde mit den Vermessungen an Wiener Juden, die im September 1939 im Wiener Stadion interniert waren. Darauf folgten rassekundliche Untersuchungen in mehreren Kampagnen 1940 und 1943 im Kriegsgefangenenlager Kaisersteinbruch (Stalag XVII A) und 1941 und 1942 in Wolfsberg (Stalag XVIII A) sowie im Oktober 1942 in Spittal a/d Drau, (Stalag XVIII, Zweiglager). Im Sommer 1940 wurde in Götzendorf und in der Wachau die Bevölkerung vermessen. […] Insgesamt wurden an die 7.000 Personen anthropologisch erfasst."

Lange bevor der Löschteich auf dem Areal des Friedhofes von den Nationalsozialisten errichtet wird, gibt es die Idee, auch die sterblichen Überreste des Währinger Friedhofes [pseudo]"wissenschaftlich" zu untersuchen. Die Wissenschafter des Naturhistorischen Museums, allen voran Dr. Josef Wastl, wollen damit ihre "Rassentheorie" belegen. Zeitzeuge Dr. Ernst Feldsberg, damals Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde:
"Schon vor Errichtung des Löschwasserteiches waren Wissenschaftler des Naturhistorischen Museums in Wien (selbstverständlich geeichte Mitglieder der NSDAP) auf die grandiose Idee gekommen, unter Beweis zu stellen, dass die Degeneration der Juden im Laufe der Zeit nicht nur eine moralische und geistige war, sondern dass Juden auch körperlich immer mehr degenerierten. Die Beweise sollten auf der Weise erbracht werden, dass die Skelette von Verstorbenen familienmäßig darauf untersucht werden, wie die Knochengerüste von Generation zu Generation schwächer werden. Da auf diesem Währinger Friedhof sich zum überwiegenden Teil Gräber befanden, in denen nur Einzelpersonen bestattet sind, wurden auf diesem Friedhof die Exhumierungen ganzer Familien vorgenommen. Die exhumierten Leichenreste wurden in großen Kartons gelegt, die Kartons mit den Namen der Verstorbenen, ihren Geburts- und Todesdaten beschrieben und dann in das Naturhistorische Museum gebracht."

Über die exakte Anzahl der exhumierten Gräber auf dem Währinger Friedhof gibt es unterschiedliche Angaben. Die Zahlen schwanken. Im Friedhofsführer "Mahnmal" wird von 220 bis 500 Personen berichtet. Demnach werden zwischen 220 und 500 begrabene Personen zu "wissenschaftlichen Zwecken" in das Wiener Naturwissenschaftliche Museum gebracht. Das Naturhistorische Museum berichtet von 252 Gräber in der ersten Phase und weiteren 182 Gräber in einer weiteren Phase. Die zweifellos seriöseste Zahl liefert Tina Walzer: "Aufgrund der erhaltenen Exhumierungsprotokolle können insgesamt 215 Enterdigungen festgestellt werden."

Die Gebeine von den 215 Personen werden in den Kriegsjahren in das Naturhistorische Museum gebracht. Tina Walzer:
"Während der NS-Zeit wurden rund 1.500 Gräber bei Aushubarbeiten für einen Löschteich zerstört. Im Namen einer nationalsozialistischen 'Rassekunde' wurden überdies die Gebeine ganzer Familien exhumiert – insgesamt über 200 Personen, und ins Naturhistorische Museum gebracht, wo sie dann zum Teil jahrzehntelang, bis zu ihrer Wiederbeerdigung in Massengräbern verblieben. Der Friedhof als Eigentum der Wiener jüdischen Gemeinde wurde durch den NS-Staat enteignet und ging 1942 in den Besitz der Stadt Wien über…"

Maria Teschler-Nicola und Margit Berner in ihrem Bericht für das Naturhistorische Museum:
"Mit einem Schreiben Dr. Benjamin I. Murmelstein [..] [datiert vom 18.8.1942, Anm. R.L.] wird dem Dekan der philosophischen Fakultät, Dr. Viktor Christian, ein Verzeichnis der Gräber und die Kostenschätzung für eine Enterdigungsaktion auf dem Döblinger Friedhof übermittelt. Es wurden die Grabbauten und technischen Zugangsmöglichkeiten geprüft und 252 Gräber für eine sofortige Öffnung und Enterdigung für geeignet angesehen (Leichen von Kindern unter 12 Jahren sollten nicht geborgen werden). Eine zweite Abteilung der Enterdigungen auf dem alten Friedhof sollte 182 weitere Gräber umfassen. Über den Fortgang dieser Aktivitäten ist bislang wenig bekannt, in einem Bericht an den Direktor des Hauses, der die wesentlichen für 1943 geplanten Aktivitäten zusammenfasst, ist der Beginn der Untersuchungen als wichtigste und 'unaufschiebbare Arbeit' angekündigt. […] Die Skelette wurden als eine 'wertvolle Bereicherung der Museumsbestände' angesehen und sollten eine 'wertvolle Grundlage für die neuzeitliche rassenbiologische Richtung' darstellen."

Am 14. Dezember 1947 wird das Museum vom Unterrichtsministerium aufgefordert, "sämtliche Objekte, die seit 1939 in den Besitz oder die Verwahrung der Museen und Anstalten gekommen sind" , zu erstellen. Das Museum führt unter der Inventarnummer 20596-20955 "Bruchstücke von Skeletten aus aufgelassenen Wiener Friedhöfen/Ausgrabungen" an. Dabei handelt es sich um jene Ausgrabungen, die zwischen Sommer 1943 und Frühjahr 1943 im Währinger jüdischen Friedhof durchgeführt worden sind. Das Inventarbuch vermerkt: "Skelette vom Judenfriedhof Wien XIX, Heiligenstadt". Das Friedhofreferat der Israelitischen Kultusgemeinde bestätigt die Übernahme der Skelette vom 24.4.1947.

Dr. Josef Wastl wird 1949 pensioniert. Bereist ein Jahr später, 1949, wird er zum ständigen gerichtlichen Sachverständigen "für menschliche Erbbiologie" bestellt. Bis zu seinem Tod 1968 erstellt Wastl Vaterschaftsgutachten.

Nach einem Beitrag über Skelettresten von Juden im Naturhistorischen Museum in der französischen Zeitschrift "Liberation" Anfang der 90er Jahre, werden die Bestände im Naturhistorischen Museum neuerlich geprüft. Maria Teschler-Nicola und Margit Berner: "Es wurden, was auch die Recherchen über den Israelitischen Friedhof Währing ergaben, 28 Schädel und Totenmasken jüdischen KZ-Opfer im Sammelbestand der Abteilung aufgefunden, der IKG [Israelitischen Kultusgemeinde Anm. R.L.] übergeben und 1991 bestattet."

3.4 "NS-Metallsammlungsaktion"
Im November 1942 erhalten alle jüdischen Gemeinden vom "Reichskommissar für Altmaterialverwaltung" in Berlin die Anordnung zur "NS-Metallsammlungsaktionen" auf jüdischen Friedhöfen. Die "Erfassung von Schrott und Metallen auf jüdischen Friedhöfen" wird befohlen. Tina Walzer:
"…Die gesammelten Metallteile mussten nach Gewicht und Art aufgelistet werden. Die Vorgangsweise über die Ablieferung der gesammelten Metallteile musste bis spätestens 5. Dezember des gleichen Jahres, also innerhalb von knapp zwei Wochen, mit den 'Altsoffreferenten' der örtlichen Landwirtschaftsämtern abgestimmt werden…"
Nach etlichen bürokratischen Hürden wird schließlich im Frühjahr 1943, am 4. Februar 1943, mit der Plünderung des Währinger Friedhofes begonnen. Metalle, Grabstätten, Zäune, Tore werden entfernt. Der systematische Raub hinterlässt zusätzlich Spuren auf dem ohnedies mangelhaft gepflegten Währinger Friedhof. Ein Rundgang auf dem Friedhof zeigt, dass Beschläge, Ziergegenstände und Metallteile auf den Gräbern den Raubzügen der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen sind.

4 Schlussbemerkung
Das Institut für Geschichte der Juden in Österreich führt unter der Leitung von Tina Walzer in den Jahren 1997 bis 2001 ein umfangreiches Forschungsprojekt durch. Dabei wird eine erstmals eine detaillierte Datenbank erstellt. Die Datenbank enthält rund 8.600 Einträge mit Namen, Herkunftsort, Adresse, Beruf, Lebensdaten, Todesursache und Grabnummer von denjenigen Jüdinnen und Juden, die am Währinger Jüdischen Friedhof beerdigt sind.

Ein aktueller Forschungsbericht der Historikerin Tina Walzer liegt vor. Darin ist die Zerstörung des Friedhofes durch die Nationalsozialisten penibel dokumentiert. Nun sind Stadt Wien und die Bundesregierung am Zug. Das "Museum unter freiem Himmel" (Tina Walzer) muss finanziell und personell unterstützt werden.


5 Quellen- und Literaturverzeichnis
Bauer, T. Werner: "Wiener Friedhofsführer", 5. Neuauflage, Falter Verlag, Wien, 2004

Czeike, Felix: Historisches Lexikon Wien, Kremayer & Scheriau Verlag, Wien 1993, Bd. 2

Enzyklopädie des Holocaust, Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Band III, Hg.: Eberhard Jäckel, Peter Longerich, Julius H. Schoeps, Argon Verlag, Berlin 1993

Embacher, Helga: "Die Restitutionsverhandlungen mit Österreich aus der Sicht jüdischer Organisationen und der Israelitischen Kultusgemeinde"; Veröffentlichung der Österreichischen Historikerkommission, Band 2, Oldenburg Verlag, Wien, München 2003

Feldsberg, Ernst: Jüdische Feste und Gebräuche, insbesondere jüdischer Totenkult. Maschinenschriftliches Manuskript für einen Vortrag im Volksbildungshaus Margareten am 9.10.1965; Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien

Handbuch des Reichsgaues Wien, 1941, 63./64. Jahrgang, Verlag Jugend und Volk

Keil, Martha (Hg.): "Von Baronen und Branntweinern – Ein jüdischer Friedhof erzählt", Mandelbaum Verlag 2007

Keil, Martha: "…enterdigt aus dem Währinger Friedhof" In: Studien zur Wiener Geschichte; Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. Hg. Karl Fischer, Wien 2005

Mahnmale, Jüdische Friedhöfe in Wien, Niederösterreich und Burgenland. Hg. Club Niederösterreich, Wien, 1992

"Reichspost": "Der Währinger israelitische Friedhof"; Wien, Freitag, 2. Jänner 1931

Reichsgesetzblatt 1709, vom 3. Dezember 1938 In: "Alex", digitaler Lesesaal der Österreichischen Nationalbibliothek

Stenographisches Protokoll der Ratsherren der Stadt Wien, 8. Jänner 1942

Teschler-Nicola, Maria; Berner, Margit: Die Anthropologische Abteilung des Naturhistorischen Museums in der NS-Zeit; Berichte und Dokumentation von Forschungs- und Sammlungsaktivitäten 1938-1945. Abteilung für Archäologische Biologie und Anthropologie, Naturhistorisches Museum, Wien undatiert

Walzer, Tina: Broschüre "Der Währinger Jüdische Friedhof", Rundgang durch ein verfallenes Kulturdenkmal, Hg.: Grüner Klub im Rathaus, Wien 2008

Walzer, Tina: "Der Währinger jüdische Friedhof", Historische Entwicklung, Zerstörungen der NS-Zeit, Status quo. Forschungsprojekt des Zukunftsfonds der Republik Österreich in Kooperation mit der IKG Wien, August 2006 – September 2007, 2. März 2008 (noch unveröffentlicht)

Walzer, Tina: Rundgang durch den Währinger Jüdischen Friedhof, 4. Mai 2008

Wirsching, Andreas: "Jüdische Friedhöfe in Deutschland 1933-1957", Beitrag in Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 50. Jahrgang 2002, 1. Heft, Januar, Hg.: Karl Dietrich Bracher, Hans-Peter Schwarz, Horst Möller, Institut für Zeitgeschichte München, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2002

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